Ich habe ja lange überlegt, ob überhaupt und wie denn dann ich diesen Beitrag schreiben soll. Will ich Euch mein Lei-hei-heid klagen? Oder kann ich so spritzig-witzig, frei von der Leber weg tapfer-lustig parlieren? Oder doch lieber so richtig zickig bitchen – weil, beschissen ist es ja schon auch.
Letztendlich möchte ich aber doch etwas “Nützliches” dem Diskurs hinzufügen, etwas, das sowohl Betroffenen als auch deren Freund*Innen und Kolleg*Innen hilfreich im Umgang mit Behinderung sein kann. Ja, ja, das ist natürlich alles recht subjektiv – doch ich hoffe, dass Ihr Euch an der einen oder anderen Stelle wiederfinden und/oder meinem Beitrag eine kleine Glitzerperle der Weisheit entnehmen könnt.
Soll ich da jetzt fragen oder nicht?
Behinderungen und ihre Auswirkungen auf das tägliche Leben, den Umgang mit den Mitmenschen, die Arbeit – ein weites Feld. Da ergeben sich viele Fragen seitens selbiger Mitmenschen, von “Soll ich die Tür aufhalten?” über “Wie das wohl passiert ist? Oder war das schon immer so?” bis zu “Ob sie/er wohl darüber sprechen will? Und … mit mir?” – Wenn wir eins von Parzival gelernt haben, dann dies: ja, stellt die Frage. Unbedingt. Sie ist ja doch im Raum. Die/der Befragte wird antworten, und sei es nur um abzulehnen. In dieser scheinbar simplen Vorgehensweise jedoch wird die agency der/des Behinderten respektiert und eine einfache “Gebrauchsanweisung” für Freund*Innen und Kolleg*Innen formuliert. Na also, geht doch.
Wie ist das mit dem Helfen?
Da verweise ich auf den obigen Absatz: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Ihr wollt einer Person helfen? Macht Euer Angebot. Sachlich, freundlich, ohne Mitleidsbezeugungen; Mitdenken ist groβartig – Mitleid eher weniger. Selbst wenn die/der Angesprochene heute Eure Hilfe ablehnt, so weiβ sie/er nun um Eure Hilfsbereitschaft und kann sich an Euch wenden, wenn Not an der Frau besteht. Das klingt jetzt zu pauschal? Zu einfach? Ist es aber nicht. Zu wissen, dass man gesehen aber nicht bevormundet wird, einen Rückhalt für schwere Tage zu haben, ist, wie es in der Werbung so schön heiβt, priceless.
Freundschaft und Familie
Das ist einfach: ohne geht es nicht. Eine gute Balance zu finden, den richtigen Weg, die Beziehung/en zu navigieren, das ist alles andere als einfach. Andererseits ist das ja ohne den Zusatz “Behinderung” auch nicht anders.
Einem speziellen Thema jedoch möchte ich hier Aufmerksamkeit schenken: The Exit Strategy. Autsch. Ja, genau, darüber wollen wir jetzt doch aber nicht reden, nicht einmal nachdenken. Es geht doch immer irgendwie weiter – wir schaffen das schon. Falsch. Es gibt einen Punkt, an dem es einfach nicht weitergeht. Diese Grenze liegt für jede/n an einer anderen Stelle, hoffentlich wird sie nie erreicht, doch ihre Exstenz lässt sich weder schönreden noch ignorieren. Meine etwas rotzige Aussage, dass ich derzeit keine Selbstmordpläne, jedoch eine Abgangsstrategie habe und Mitglied der Schierlingsgesellschaft sei, hat einige meiner Lieben hart getroffen. Ich will dabei niemanden vor den Kopf stoβen, doch sollte dieses Gespräch sich für Euch ergeben, seid vorbereitet und willens, den Ernstfall bis zum Ende durchzusprechen. Mir jedenfalls bedeutet es eine ungemeine Erleichterung zu wissen, dass mir ein selbstbestimmter Abschied gesichert ist.
Am Arbeitsplatz
Gesetzliche Richtlinien zum Schutz von Behinderten bestehen in der einen oder anderen Form in fast jedem Land und sind mehr oder minder nützlich und erfolgreich. Aber machen wir uns keine Illusionen: das sagt nichts aus darüber, wie an individuellen Arbeitsplätzen mit Behinderung umgegangen wird, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass selbige ja vielerlei Formen und Auswirkungen haben, seien diese körperlicher, geistiger oder seelischer Natur. Es ergibt sich somit die Frage, ob man die eigene Behinderung am Arbeitsplatz mitteilt – und selbst hier hat nicht jede/r Behinderte eine Wahl, denn ein Rollstuhl, ein Stottern, zitternde Gliedmaβen, Fehlstunden am Arbeitsplatz nehmen ihr/ihm diese Entscheidung. Mein schönes Mantra von der Kommunikation hilft hier auch nicht weiter – mit Individuen kann man sprechen, mit Organisationen und Institutionen heiβt es Regelungen und Gesetze zu navigieren. Information, Wissen und im Zweifelsfall rechtlicher Beistand sind hier die besten Hilfsmittel.
Das Leben und überhaupt
Den oben angegebenen Richtlinien folgend, und zwar sachlich, freundlich, ohne (Selbst-)Mitleidsbekundungen, habe ich mich bemüht, diesen Beitrag kurz und informativ zu halten und auf Anekdoten, langatmige Erklärungen und Erfahrungsberichte zu verzichten. Ich mache jedoch das Angebot, Eure Fragen zum Thema Behinderung im Unterricht zu beantworten, sei es seitens der Lernenden oder Lehrenden, zu interpersonalem Agieren, Arbeitsplatz, Rechtssituation, Kommunikation, Erfahrungswerten und meinem persönlichen Favoriten, “Dinge, die kein behinderter Mensch (mehr) hören will.” Bitte kontaktiert mich persönlich, sei es via Email oder auf dem anstehenden Konferenztreffen in Sewanee.
Zuguterletzt möchte ich es mir nicht nehmen lassen, Dank auszusprechen an meine Freund*Innen, Familien, Kolleg*Innen, WiG UND meine Katzen, die mir im Gang durch The Valley of WTF in Wort und Tat mit Liebe und Groβzügigkeit beiseitestehen.
In diesem Sinne: Wird schon.
Corinna Kahnke is the German program and Affiliate Assistant Professor at Salem College in Winston-Salem, NC. In August 2017 she was diagnosed with MS.